→ Arthur Alexander: Ein Soul-Talent, das keiner kennt

Seine Lieder wurden von den ganz Großen interpretiert: Rolling Stones, Bee Gees, Elvis und Bob Dylan. Sein Titel ›Anna‹ landete sogar als erste Fremdkomposition auf einem Album der Beatles. Vor 75 Jahren wurde Arthur Alexander geboren, ein Soul-Talent, das keiner kennt.

Arthur Alexander Junior
* 10. Mai 1940 in Florence, Alabama
† 9. Juni 1993 in Nashville, Tennessee

Manchmal kann man Erfolg haben ohne wirklich erfolgreich zu sein. Der Sänger und Songschreiber Arthur Alexander war ein Pionier des Country-Soul, einer Mischung von weißem Country und schwarzer Soul-Musik. Seine Single ›You Better Move On‹ war der erste kommerzielle Hit aus Muscle Shoals, einer Musiker- und Studioszene im Norden Alabamas, die der Welt bald darauf weitere soulige Hits bescheren sollte, wie ›When a Man Loves a Woman‹ des jüngst verstorbenen Percy Sledge. Viele junge englische Bands der sogenannten British Invasion, darunter die Beatles, die Hollies und die Rolling Stones, übernahmen Lieder des schwarzen Amerikaners in ihr Live-Repertoire. Dennoch kennt kaum jemand seinen Namen, und bis heute besitzt Arthur Alexander nicht einmal einen deutschen Wikipedia-Eintrag.

»Als die Beatles und die Rolling Stones ihre ersten Plattenaufnahmen machten, spielten die einen ›Anna‹ und die anderen ›You Better Move On‹. Das sagt eigentlich genug.« (Keith Richards)

Arthur Alexander Junior kam am 10. Mai 1940 in Alabama, einem der rassistischen Südstaaten der USA, zur Welt. Sein Vater Arthur Alexander Senior war ein Bauarbeiter und gelegentlicher Bluesmusiker. Um die beiden auseinander zu halten, wurde der Junior von Freunden und Familienmitgliedern kurz ›June‹ gerufen.

A Shot of Rhythm and Blues.

Seine erste Single ›Sally Sue Brown‹ erschien unter dem Künstlernamen June Alexander. Da war er knapp 20 Jahre alt. Der Erfolg blieb aus, brachte ihm aber die Aufmerksamkeit des ortansässigen Produzenten Rick Hall ein. Hall produzierte Alexanders zweite Single, diesmal unter seinem wahren Namen. ›You Better Move On‹ entwickelte sich zu einem veritablen Hit. Doris Day coverte den Titel als erste, die Stones packten ihn auf ihre Debüt-EP The Rolling Stones.

Arthur Alexanders Debüt-LP von 1962 gelangte durch clevere Matrosen, die sich ein paar Pfund hinzuverdienen wollten, schnell in die englische Hafenstadt Liverpool. Deren Jugend war stets an der neuesten Musik vom nordamerikanischen Kontinent interessiert. Die Vinylscheibe begeisterte die Mitglieder zweier Liverpooler Bands so sehr, dass sie gleich mehrere Titel der Songlist übernahmen. Die Beatles verewigten ›Anna (Go to Him)‹ auf ihrem Debütalbum Please Please Me und spielten ›A Shot of Rhythm and Blues‹ sowie ›Soldier of Love‹ bei ihren Liveshows. Ihre Kollegen von Gerry & the Pacemakers brachten sogar drei von Alexanders Titeln auf ihrer ersten Langspielplatte unter. Gerry Marsden, der Bandleader der Pacemakers, erinnert sich:

»Ich war ungefähr fünfzehn oder sechzehn, als ich Arthurs Musik zum ersten Mal hörte. Ich glaube, seine Platten kamen durch Seeleute aus New York nach Liverpool. Ich mochte seine Musik, ich mochte seinen Stil und seine Stimme.«

Im Jahr 1966 wagte sich Arthur Alexander auf eine dreiwöchige England-Tournee. In London absolvierte er Auftritte in den Clubs Flamingo, The Ram Jam Club und im nahmhaften Marquee. Später sollte er die Tour als einen Höhepunkt seines Lebens bezeichnen.

Every Day I Have to Cry Some.

So weit, so gut, doch irgendwas lief falsch. Während andere mit seinen Liedern große Hits feierten, verkümmerten Arthurs Originalversionen auf den hinteren Plätzen der Charts. Mehrmals wechselte er das Plattenlabel, aber was er auch tat, er schaffte es nicht in die Top Ten. Wer keine der vorderen Plätze in den Charts belegen kann, tritt nicht im landesweiten Fernsehprogramm auf und bleibt für die Massen ein gesichtsloser Künstler.

Immerhin ließ es sich von den vage gezahlten Tantiemen ganz gut leben. Vielleicht zu gut. Alexander hatte nie Geld, denn er gab es mit beiden Händen aus. Er kaufte sich Autos, die er schnell schrottreif fuhr. Wie viele Musiker in den Sechzigern tunte Arthur seine Leistungsfähigkeit mit Amphetaminen und anderen Pillen. Durch die Aufputschmittel litt er unter Schlafmangel, den er durch Alkohol zu kompensieren versuchte. In der Folge wurde er launisch und unzuverlässig. Der Abstieg vollzog sich langsam, aber stetig. Im Frühjahr 1972 coverte Elvis Presley den Titel ›Burning Love‹, nur wenige Monate nach Alexanders Originalversion. Die wurde vom Publikum fleißig ignoriert, der King jedoch landete damit seinen letzten Top-10-Hit in den USA.

Alexanders Lebenswandel führte bald dazu, dass er nicht mehr nur Melodien in seinem Kopf hörte, sondern bald auch Stimmen. Was folgte, war ein schrittweiser Rückzug ins Private. Im August 1977 starb Elvis, im Herbst machte Arthur Alexander Schluss mit dem Musikerdasein. Er zog von Sweet Home Alabama nach Cleveland, Ohio, und nahm einen Job als Busfahrer an. Außerdem schloss er sich den wiedergeborenen Christen an, einer Sekte evangelikaler Fundamentalisten.

In the Middle of It All.

Zehn Jahre lang blieb es still um ihn. Im Sommer 1988 coverte kein geringerer als Bob Dylan Junes Debütsingle ›Sally Sue Brown‹ und machte aus der R&B-Nummer einen rockigen Blues. Im Juli 1990 wurde Alexander in die Alabama Music Hall of Fame aufgenommen. Infolge dessen keimte neues Interesse an seinen Songs. Nach über 20 Jahren Pause sollte sogar ein frisches Album erscheinen, eingespielt mit den musikalischen Weggefährten von einst Donnie Fritts, Spooner Oldham und Dan Penn.

Als Arthur im Mai 1993 den Plattenvertrag unterschrieb, schien doch noch alles gut zu werden. Einer der Songs auf dem Comeback-Album ›Lonely Just Like Me‹ trägt sogar den Titel ›I Believe in Miracles‹. Niemand konnte ahnen, dass dieses Comeback ganz schnell wieder vorbei sein würde. Nur wenige Tage nach dem Tournee-Auftakt erlitt der Sänger und Komponist einen Herzinfarkt. Arthur Alexander starb im Juni 1993 an Herz- und Nierenversagen.

Es liegt mir auf der Zunge.

Arthur Alexander hat seine Spuren auch in der Populärkultur hinterlassen, so in der Vorabendserie „Eine schrecklich nette Familie“. Al Bundy, der berühmteste Schuhverkäufer der Welt, versucht eine ganze Folge lang, sich an den Titel eines Songs aus seiner Jugendzeit zu erinnern. Die Suche entwickelt sich zum Running Gag der Folge „Es liegt mir auf der Zunge“. Gesucht war „Anna (Go To Him)“, in der Originalversion von Arthur Alexander.

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Über andileser

Ich bin außer mir.
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