→ Alexandre Dumas feiert ausgelassen Georgien

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Alexandre Dumas der Ältere (1802–1870) ist als Autor von historischen Mantel- und Degenromanen weltbekannt geworden. Die drei Musketiere, Der Graf von Monte Christo und Der Mann mit der Eisernen Maske stehen als bekannteste Beispiele in beinahe jedem Bücherregal. Dass Dumas auch viel gereist ist und Reisereportagen veröffentlicht hat, wissen hingegen die wenigsten. Meist verfolgte der verschwenderische Lebemann mit diesen ausgedehnten Auslandsaufenthalten einzig den Zweck, seinen zahlreichen Gläubigern zu entwischen und gleichzeitig mit der Veröffentlichung seiner Reisebeschreibungen Geld zu verdienen.

Alexandre Dumas und dessen Bestseller waren auch in St. Petersburg äußerst beliebt und wurden dort im französischen Original gelesen. (Der Lesezirkel am Zarenhof hieß übrigens Staatsdumas — ha ha). Russland stand bereits seit längeren auf der Wunschliste des graphomanischen Franzosen, doch Zar Nikolaus I. verweigerte die Einreise. Erst sein Nachfolger Zar Alexander II. (1855–1881) erteilte dem Autor die Erlaubnis und sorgte auch für eine geheimdienstliche Rundumbetreuung. Von Juni 1858 bis Februar 1859 bereiste der Romantiker Russland und den zerklüfteten Kaukasus, dabei auf Schritt und Tritt begleitet vom zaristischen Geheimdienst (Vorläufer von Ochrana, Tscheka, GPU, NKWD und KGB). Wie aus den Geheimarchiven hervorgeht, wurde Dumas Korrespondenz gründlich durchleuchtet, denn der Autor schickte seine ausführlichen Reisenotizen wöchentlich mit der Post nach Frankreich, wo sie in seiner Literaturzeitschrift Monte Cristo einem neugierigen Publikum präsentiert wurden. Auf diesem Wege hat Dumas die Franzosen mit dem fernen Russland und seinen Dichtern bekannt gemacht, zum Beispiel mit Alexander Puschkin:

»Puschkin, der 1837 im Duell fiel, ist in Russland so populär wie Schiller in Deutschland, in Frankreich aber kaum dem Namen nach bekannt. Er ist aber doch ein großes Dichtertalent, geistvoll, originell, Meister der Sprache.«
(Dumas: Von Paris nach Astrachan, Dritter Teil, Leipzig, 1859)

Der Kaukasus, diese schroffe Gebirgskette am Rande Europas (die übrigens nicht nach Rolf Kauka benannt wurde, wie viele glauben) war der Verbannungsort des russischen Dichters → Alexander Puschkin, die Heimat des georgischen Romantikers → Alexander Tschawtschawadse, der Geburtsort des Deutschgeorgiers → Alexander von Salzmann und ergiebiges Forschungsgebiet des Finnlandschweden → Alexander von Nordmann. Alexandre Dumas machte im Kaukasus die Bekanntschaft mit der Bergregion Georgien und ihren trinkfesten Bewohnern.

Ich zitiere dazu eine Episode aus dem vierteiligen Reisetagebuch Gefährliche Reise durch den wilden Kaukasus:

Gordischer Knoten

Reise im Kaukasus.
IV: Georgien & die Georgier.

Man kennt in Tiflis die Pariser Schnürleiber, aber ich glaube kaum, dass man in Paris weiß, wie man in Tiflis nach georgischer Art speist. Eine georgische Mahlzeit hat keineswegs den Zweck der Ernährung und Sättigung, denn sie besteht hauptsächlich aus frischen Kräutern und Wurzeln. Die botanischen Namen dieser Kräuter und Wurzeln sind mir nicht bekannt: sie werden als Salat ohne Essig und Öl aufgetischt, und ich bemerkte darunter verschiedene Arten von Zwiebeln, Dragun, Pimpernelle und Rettige.

Über die Flüssigkeiten, die dabei vertilgt werden, kann ich besser Auskunft geben. Die mäßigen Zecher trinken fünf bis sechs Flaschen Wein, die gewaltigen »Schläuche« zwölf bis fünfzehn. In Georgien ist es eine Ehre, seinen Nachbar im Trinken zu überbieten. Zum Glück ist der dortige äußerst angenehme Wein nicht stark, d. i. er steigt nicht zu Kopfe. Die Georgier aber schämen sich, ihre zehn bis zwölf Flaschen zu trinken, ohne berauscht zu werden; sie haben einen Behälter erfunden, der ihnen wider ihren Willen, oder vielmehr wider den Willen des Weins, einen Rausch anhängt. Es ist eine Art Amphora, die man eine Gulah nennt. Die Gulah, in der gewöhnlichen Form eine bauchige Flasche mit langem Halse, nimmt in ihre Öffnung nicht nur den Mund, sondern auch die Nase des Trinkers auf, so dass dieser nicht nur den Wein, sondern auch den Weindunst einzieht. Während also der Wein hinunterläuft, steigt der Dunst auf, und der Kopf wird zugleich mit dem Magen voll.

Aber außer der Gulah haben die georgischen Zecher noch viele andere Trinkgefäße von den sonderbarsten Formen, Kürbisflaschen mit langem Rohr; Schöpflöffel, Quabi genannt, in denen sich, ich weiß nicht warum, ein vergoldeter Hirschkopf mit beweglichem Geweih befindet; große Schalen, den Suppenschüsseln ähnlich; Hörner, mit Silber beschlagen und so lang wie Rolands Horn. Das kleinste dieser Trinkgefäße enthält eine Flasche, die immer auf einen Zug und ohne abzusetzen geleert werden muss.

Ein Georgier betrachtet es als eine große Ehre, in dem Rufe eines starken Trinkers zu stehen. Als der Kaiser Nikolaus in den Kaukasus kam, stellte ihm der Generalgouverneur Woronzow einen Fürsten Gristow mit den Worten vor: »Sire, ich habe die Ehre, Ihnen den ersten Trinker von ganz Georgien vorzustellen.« Der georgische Fürst verneigte sich bescheiden, aber schmunzelnd.

Ich fand mich indes mit ziemlicher Zuversicht zur bestimmten Stunde ein. Man hatte mir zu Ehren einige berühmte Zecher eingeladen, unter anderen den Fürsten Nikolaus Tschawtschawadze und einen Polen, Namens Joseph Pemerewski. In unserer Gesellschaft befand sich überdies ein Poet, Namens Ewangul Ewangulow, und ein Tonkünstler. Unser Wirt, hieß Johann Kereselidze. Die Tischgesellschaft bestand aus etwa zwölf Personen.

Der erste Gegenstand, der mir beim Eintritt in den Speisesaal auffiel, war ein ungeheurer Krug, achtzig bis hundert Flaschen haltend. Der musste ausgetrunken werden. Auf einem großen Teppich, der auf dem Fußboden ausgebreitet war, standen Teller und Schüsseln. Für uns Europäer hatte man Messer, Gabeln und Löffel bereit gelegt; die Georgier pflegen nach alter patriarchalischer Sitte mit den Fingern zu essen.

Man gab mir den Ehrenplatz in der Mitte. Der Herr vom Hause setzte sich mir gegenüber; an meiner rechten Seite nahm der Fürst Nikolaus, an meiner linken der Pole Platz.

Ich pflege einer Gefahr so lange als irgend möglich aus dem Wege zu gehen; aber wenn der Augenblick gekommen ist, so trete ich ihr entschlossen entgegen. So machte ich’s auch hier. Wie viele Flaschen Georgierwein ich ausstach, kann ich fürwahr nicht sagen; aber ich muss wohl sehr Bedeutendes geleistet haben, denn als die Mahlzeit beendet war, stellte einer der Gäste den Antrag, mir über meine großartige Leistung ein Zeugnis auszustellen.

Der Antrag wurde einstimmig zum Beschluss erhoben; man nahm ein Blatt Papier und jeder Tischgast schrieb sein Zeugnis darauf. Der Herr vom Hause eröffnete den Reigen mit folgenden drei Zeilen:

»Herr Alexander Dumas hat in unserem bescheidenen Redaktionslokale gespeist und mehr Wein getrunken als die Georgier.«
28. November 1858 (alten Stils).
Johann Kereselidze,
Redakteur des georgischen Journals Aurora

Dann folgte das Zeugnis des Fürsten Nikolaus:

»Ich bezeuge der Wahrheit gemäß,
dass Herr Dumas mehr Wein getrunken hat, als die Georgier.«
Fürst Nikolaus Tschawtschawadze

Der Poet schrieb statt eines Zeugnisses einige georgische Verse auf das Blatt. Die übrigen in georgischer, russischer und polnischer Sprache geschriebenen Zeugnisse halte ich im Originale allen wissbegierigen Lesern zur Einsicht bereit.

Wie schon gesagt, sind die Georgier hinsichtlich ihrer angeborenen liebenswürdigen Fehler die Erwählten der Schöpfung. Sie sind verschwenderisch und in Folge ihrer Verschwendung größtenteils in zerrütteten Umständen. Die russische Regierung ist ihnen dabei freilich sehr zu Hilfe gekommen.

Sie sind, wie gesagt, die ersten Trinker der Welt. Die Zuvorkommenheit, mit der sie mir ein Zeugnis ausstellten, kann ihrem Rufe nicht schaden; ihr Zeugnis ist, wie sehr häufig bei uns, wohl nur aus Gefälligkeit erteilt worden.

Dass sie sehr tapfer sind, wird ihnen selbst von den tapfersten Russen zugestanden.

Quelle
Alexander Dumas, Reise im Kaukasus – 4ter Teil, 1859, S. 38–42.

Über andileser

Ich bin außer mir.
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