Charlotte von Preußen → Alexandra von Russland

Porträt der Kaiserin von 1836.

Porträt der Kaiserin von 1836.

Alexandra Fjodorowna war eine russische Zarin und preußische Prinzessin, die eigentlich Charlotte hieß. Sie war die älteste Tochter von Königin Luise sowie die Schwester von König Friedrich Wilhelm IV. Von einfachem Gemüt bewirkte sie einen deutsch-russischen Kulturaustausch.

Prinzessin Charlotte von Preußen / Шарлотта Прусская
Alexandra Fjodorowna / Александра Фёдоровна
Kosenamen: Lotte, Blancheflour, Muffi
* 13. Juli 1798 in Berlin, Taufe: 3. August 1798
† 1. November 1860 in Zarskoje Selo

Charlotte war die älteste Tochter des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. und seiner Gattin Königin Luise von Mecklenburg-Strelitz. An ihrem 19. Geburtstag verheirateten die Eltern Lotte mit dem russischen Großfürsten Nikolaus, dem Bruder von → Zar Alexander I. Zur Verlobung konvertierte Charlotte vom protestantischen zum orthodoxen Glauben und trat in die russsische Kirche ein; die orthodoxe Firmung war eine Bedingung für die Eheschließung mit dem russischen Großfürsten. Die sogenannte Myronsalbung wurde wie eine Neugeburt inszeniert. Die preußische Prinzessin nahm einen neuen Namen an und aus Charlotte wurde Alexandra Fjodorowna (Александра Фёдоровна). Ihr Vorname war eine Referenz an den amtierenden Zaren Alexander, der zweite Name leitete sich vom Namen ihres Vaters Friedrich („Fjodor“) Wilhelm ab. Nun hieß die Frau nach zwei mächtigen Männern und konnte einen dritten heiraten.

Die Ehe war frühzeitig arrangiert worden. Ursprünglich sollte dadurch das im Krieg gegen Napoleon geschlossene Bündnis zwischen Russen und Prussen gefestigt werden. Charlotte-Alexandras Aufgabe war von vornherein klar definiert: sie musste einen männlichen Erben gebären. Der kam dann ein Jahr nach der Hochzeit auf die Welt. Man nannte ihn Alexander, wieder eine Referenz an den Zaren. Insgesamt hatte das Paar, das sich „Niks“ und „Muffi“ nannte, neun Kinder. Als Zar Alexander im Dezember 1825 ohne leibliche Nachkommen starb, bestieg sein Bruder als Nikolaus I. den Thron. Die vormalige preußische Prinzessin war nun plötzlich Zaritsa – Zarin.

Der Thronwechsel wurde von einer Verschwörung intellektueller, liberaler und schwärmerischer Kräfte begleitet, die nach dem betreffenden Monat als „Dekabristen“ in die russische Geschichte eingingen. Die „Dezemberianer“, zu denen auch der Autor Fjodor Dostojewski gehörte, erhofften sich vom neuen Zaren eine Abschaffung der Leibeigenschaft und eine Reform Russlands nach westlichem Vorbild. Doch Zar Nikolaus I. ließ den Aufstand niederschlagen und die Dekabristen nach Sibirien verbannen.

→ Alexandre Dumas schrieb darüber den Roman „Erinnerungen eines Fechtmeisters“ (1840/41), den auch die Kaiserin las, allerdings heimlich, denn Zar Nikolaus hatte ihn verboten. Dumas durfte Russland deshalb erst in den Jahren 1858/59 bereisen, also nach Zar Nikolausens Tod. In seinem Reisebericht schilderte Dumas die folgende Anekdote:

»Die mit der Kaiserin befreundete Fürstin Trubezkaja erzählte mir einmal, dass die Zarin sie in ein geheimes Boudoir im abgelegensten Teil ihrer Wohnung hatte kommen lassen, um mit ihr meinen Roman zu lesen. Sie waren mitten in der schönsten Lektüre, als die Tür aufging und der Kaiser eintrat. Frau Trubezkaja, die vorgelesen hatte, verbarg das Buch geschwind unter dem Kissen des Diwans. Der Kaiser trat heran, blieb vor seiner erlauchten Ehehälfte stehen, die noch mehr als gewöhnlich zitterte, und sagte zu ihr:
›Sie haben gelesen, Madame!‹
›Ja, Sire.‹
›Soll ich Ihnen sagen, was für ein Buch Sie gelesen haben?‹ Die Kaiserin schwieg.
›Den Roman Der Fechtmeister von Dumas.‹
›Woher wollen Sie das wissen, Sire?‹
›Zum Kuckuck, das ist nicht schwer zu erraten; es ist das letzte Buch, das ich verboten habe.‹«
(Alexandre Dumas, Reise durch Russland, S. 486)

Die Zarin blieb dem französischen Autor ihr Leben lang eine treue Leserin. Als letztes Buch ihres Lebens las sie angeblich im Oktober 1860 Dumas Roman „Le Page du Duc de Savoie“ („Der Page des Herzogs von Savoyen“).

Als deutsche Kulturbotschafterin machte Charlotte-Alexandra das orthodoxe Russland mit einigen deutschen Traditionen bekannt. So führte sie ballspielsweise den Weihnachtsbaum, eine lutherische Erfindung, sowie den Kindergeburtstag ein. Außerdem war sie eine wichtige Förderin von Caspar David Friedrich. Als dessen düster-romantischer Malstil in Deutschland aus der Mode kam, kaufte die Kaiserin weiterhin Friedrichs Bilder und sicherte so dessen künstlerische Existenz. Im nach ihr benannten Landschaftspark → Alexandrien (1826/29 bei St. Petersburg) entstand nach Entwürfen des preußischen Architekten Karl Friedrich Schinkel die → Alexander-Newski-Kapelle (1831/33). Und Carlo Rossi, ein russischer Architekt italienischer Herkunft, errichtete für sie am Ostrowski-Platz das → Alexandra-Theater (1832). Darin hatte 1836 Gogols Komödie „Der Revisor“ seine Premiere.

Darüber hinaus begründete sie einen Trend, der bis heute anhält. Durch ihre regelmäßigen Kuren im französischen Nizza lockte Alexandra den russischen Wohlstandstourismus an die Côte d’Azur.

Als der Kaiser 1855 starb, rutschte der älteste Sohn auf den Thron. Dieser regierte als → Zar Alexander II. – bis ihn 1881 ein Attentat von der Regierungsverantwortung erlöste. Der Tod ihres Erstgeborenen blieb der Kaiserinmutter jedoch erspart. Alexandra erlebte nur die ersten fünf Jahre seiner Regentschaft. Damals wohnte sie im → Alexander-Palast von Zarskoje Selo (heute Puschkin), ihrem Alterssitz.

Was bleibt? In Berlin leiht die junge Charlotte der Juno von Christian Daniel Rauch auf dem Kreuzberg ihr Gesicht. Und bei Potsdam erinnert das Blockhaus Nikolskoje mit der benachbarten Kirche St. Peter und Paul von Friedrich August Stüler an die deutsch-russische Verbindung von „Niks“ und seiner „Muffi“.

~
Literaturtipp
Marianna Butenschön, Die Preußin auf dem Zarenthron – Alexandra, Kaiserin von Russland, München, 2011.

Über andileser

Ich bin außer mir.
Dieser Beitrag wurde unter Alexquisit abgelegt und mit , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Hinterlasse einen Kommentar