→ Roots: Alex Haley sucht nach Kunta Kinte

Alex Haley hat zwei Bücher geschrieben, die für das Selbstbewusstsein der Afroamerikaner in den USA sehr bedeutend waren. Bei der „Autobiografie von Malcolm X“ war er der Ghostwriter des schwarzen Bürgerrechtlers, sein zweites Buch „Roots: The Saga of an American Family“ schildert die Geschichte von Haleys afroamerikanischen Vorfahren. Der Roman um den aus Gambia versklavten Kunta Kinte entwickelte sich zum internationalen Bestseller und wurde fürs Fernsehen verfilmt. Das Buch gilt als Schlüsselwerk schwarzer Identitätsfindung.

Haley_Wurzeln

Alexander Murray Palmer Haley
* 11. August 1921 in Ithaca, New York
† 10. Februar 1992 in Seattle, Washington

Alex Haley kam als Sohn des Agrarwissenschaftlers Simon Alexander Haley zur Welt. Die ersten Lebensjahre verbrachte er bei den Großeltern mütterlicherseits. Vor allem zu Oma Cynthia hatte er ein inniges Verhältnis. Sie war es, die ihn mit der mündlich tradierten Familiengeschichte vertraut machte. Von 1939 bis 1959 diente Haley bei der Küstenwache. Nachdem er den Dienst quittiert hatte, arbeitete er als erfolgreicher Journalist für Reader’s Digest und den Playboy.

Eine Anekdote aus der Autobiografie von Miles Davis macht Haleys Herangehensweise deutlich. 1962 wollte Alex Haley ein Interview mit Miles Davis, was dieser allerdings ablehnte: Der Playboy sei eine Zeitschrift für Weiße und drucke nur blonde Frauen mit „flachen Ärschen“ und ohne Kusslippen ab. Wer wolle sowas sehen? Haley blieb hartnäckig und stieg sogar als Sparring-Partner mit Miles Davis in den Boxring. Das beeindruckte den Jazzer, und Haley bekam schließlich sein Interview. Hinterher jedoch ärgerte sich der große Trompeter:

„Was dabei rauskam, gefiel mir gar nicht. Obwohl es sich gut las, war einiges von Alex erfunden (…) Später wurde mir klar, dass das einfach sein Schreibstil ist, aber als er die Geschichte über mich machte, wusste ich das noch nicht.“ (S. 352)

Als Haley im selben Jahr über die Sekte der Black Muslims recherchierte, kam er mit Malcolm X in Kontakt. Wieder machte Haley für den Playboy ein Interview. Zwischen den beiden Männern entwickelte sich ein Vertrauensverhältnis, das schließlich zur legendären Malcolm-X-Autobiographie führen sollte. Wer den Rassismus in den USA, ja wer die USA der Nachkriegszeit verstehen will, der muss dieses Buch lesen. Das TIME-Magazin zählte die Autobiografie unter die zehn einflussreichsten Bücher des 21. Jahrhunderts. Alex Haley interviewte noch weitere schwarze Persönlichkeiten für den Playboy, darunter Martin Luther King, Sammy Davis Jr., Quincy Jones und Muhammad Ali, aber auch George Lincoln Rockwell, den rassistischen Führer der American Nazi Party. Haley musste Rockwell am Telefon versichern, dass er kein Jude sei. Seine afrikanische Herkunft verschwieg er ihm wohlweislich. Als es zum Treffen kam, nannte Rockwell ihn zur Begrüßung einen „Nigger“. Haley blieb gelassen und erwiderte:

„Ich bin schon mehrmals Nigger genannt worden, Commander, aber diesmal werde ich erstmals dafür bezahlt. Also legen Sie los, was haben Sie gegen uns?“

Solchermaßen für die eigene Identität sensibilisiert, machte sich Alex Haley bald an die Erforschung seiner afrikanischen Herkunft. Das autobiografische Projekt nahm zwölf Jahre in Anspruch. Der Roman erschien am 17. August 1976 unter dem Titel „Roots“ (deutsch „Wurzeln“), termingerecht zur Zweihundertjahrfeier der USA. Ausgehend von den Geschichten der Großmutter, in denen ein mythischer Ahne namens Kunta Kinte als Sklave aus Afrika verschleppt wurde, reiste Haley nach Gambia. Dank der Überlieferungen örtlicher Griots, das sind westafrikanische Chronisten, die lokale Geschichte mündlich weitergeben, konnte Alex Haley seinen Familienstammbaum angeblich bis zu sechs Generationen zurückverfolgen.

„Ich stehe in tiefer Schuld bei den Griots in Afrika, wo man heute zu Recht sagt: Wenn ein Griot stirbt, ist das so, als ob eine Bibliothek niederbrennt.“

Für „Roots“ erhielt Haley 1977 den begehrten Pulitzerpreis. Im selben Jahr wurde das Buch zu einer erfolgreichen Miniserie fürs Fernsehen aufbereitet. Die Serie ist zwar etwas pathetisch, hat aber damals den Nerv der Zuschauer voll getroffen. Die beiden Filmausschnitte zeigen Alex Haley (dargestellt von John Amos) bei der Vor-Ort-Recherche in Gambia. Mich faszinierte darin vor allem, wie abhängig Alex Haley vom guten Gedächtnis des örtlichen Griots und dessen Art der Erinnerung von Zeitetappen war. Der Griot memorierte die einzelnen Ereignisse wie die Perlen auf einen langen Schnur – strikt nacheinander. Mittendrin ist Haley so genervt ob der Fülle an Namen, dass er die Geduld verliert und beinahe den wesentlichen Teil überhört. Die knapp 700seitige deutsche Übersetzung von „Roots“ von 1980 aus dem Verlag Volk und Welt liegt jedenfalls bei mir auf dem Nachttisch und wird demnächst gelesen.

Über andileser

Ich bin außer mir.
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